An Abend spätem gestritten nicht wird

AN ABEND SPÄTEM GESTRITTEN NICHT WIRD

Ein Publikumsgespräch im Centraltheater

Es war kalt. Es war Sonntag. Es war Handball. Dann war Tatort. Im Schauspiel Leipzig schauten sich gleichwohl 52 Zuschauer die Inszenierung „Don Juan oder Der steinerne Gast (like a rolling stone)“ an. Keiner ging vor der Zeit. Am Ende erklang ein schüchternes Bravo aus dem Parkett, davor gemäßigter, dankbarer Beifall für dankbare Schauspieler.

Bei der ersten Publikumsdiskussion nach einer Vorstellung im Centraltheater saßen dann elf Zuschauer sieben Schauspielern und der Dramaturgin Anja Nioduschewski gegenüber. Das Schauspiel will mit diesen Gesprächen die in schlechten Besucherzahlen deutlich gewordene Kluft zum Publikum schließen. Die dort am Sonntag geblieben waren, fanden allerdings gut, was sie gerade gesehen hatten. Es müsste bekannter werden, sagt einer, und ruft nach der Presse. Der privat anwesende Journalist beschließt später also, als Journalist anwesend gewesen zu sein.

Gleich zu Beginn sagt ein nicht mehr radikal junger Mann mit beneidenswertem Haarwuchs, er habe die Inszenierung zum fünften Mal gesehen und wieder Neues entdeckt: wunderbar. Ein intelligent aussehender Zwanziger ist fast zerknirscht, denn er war erst vier mal drin: genial würde der Regisseur Jürgen Kruse die Szenen mit Musik verlinken. Zwei von Elf sind begeistert, die anderen widersprechen nicht robust. Ein Paar im jüngeren Seniorenalter bekundet trotz einiger Einwände Zustimmung: „uns werden sie hier nicht los“.

Drei Schauspieler, die dankbare Rollen in der Inszenierung spielen, Artemis Chalkiduo (mehrere kleine), Manuel Harder (Sganarelle) und Hagen Oechel (Don Juan) sind auch in der Diskussion die aktivsten. Fragen ans Publikum: wie fremd wirkt so eine Inszenierung? Wie kommt eigentlich die sprachliche Stilisierung an?

Man hatte es ein paar Minuten vorher zwei Stunden lang erlebt: Kruse, der sich aufgrund seines kollektivem Erarbeitungsstil lediglich als Co-Regisseur bezeichnet, filtert aus dem Moliereschen Text Schlüsselworte heraus und rührt Hilfsdeutsch damit an: musst du machen so dann geht. Das hat Wirkung und könnte der intensivste Umgang mit Sprache im Theater des letzten halben Jahres sein. Leider verstärkt es auch den lähmenden Nichtigkeits-Sound eines Don Juan, der sich im letzten Licht vor dem Tod und in heilloser Einsamkeit eigentlich nur noch für Flasche und Stoff interessiert. Everybody must get stoned. Doch Bob Dylan kann nicht helfen. Alle Fragmente ertrinken im Stimmungsnebel, bestenfalls in der Musik. Gleichwohl, Regisseur Jürgen Kruse – auf seinen Kultstatus im Westen weist die Dramaturgin hin – in Leipzig, das sollte eigentlich Neugierde genug wecken. Wie angedeutet haben vor allem Don Juan und sein Diener im Duett sprachlich urwitzige, sogar poetische Momente. In Hochform waren Hagen Oechel und Manuel Harder hinreißend tragikomisch.

Doch vom Kruse/Moliere geht es in der Diskussion immer wieder hin zum allgemein schlechten Besuch des Theaters. Woher kommt das, wird das Publikum befragt. Sind es die anderen Sehgewohnheiten? Ist es das Imageproblem, entstanden nicht zuletzt durch waghalsige, missverstandene Äußerungen des Intendanten Sebastian Hartmann? Fühlt sich das traditionelle Publikum abgehängt und bleibt zu Hause, weil es alles viel schrecklicher erwartet, als es tatsächlich ist? Das Image einer publikumsfernen Arroganz im Schauspiel, das bestätigt die Runde, war verheerend – und sei falsch. Doch wie ist das zu vermitteln, rätseln nicht nur die Schauspieler. Die ersten Änderungen hat die Intendanz beschlossen: Programmhefte, die helfen, die Inszenierungen zu verstehen, wird es nun doch geben. Und die eher musikalisch-symphonischen Inszenierungen bräuchten Zeit, hoffen die Schauspieler.

An Abend spätem gestritten nicht wird (im Kruse-Sound). Es war Sonntag, Frankreich hatte gewonnen, im Handball, sie haben das intelligentere Spiel. (2009)

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