TÜBKE IN GEFAHR
Ausstellung im Krochhaus Leipzig
Eine effektvolle Show durfte erwartet werden. Die Inszenierung im Krochhaus trabt hoch. Sie ist etwas lächerlich, weil eitel, zeigt Neues, verspricht schüchtern, wirkt wie ein Resümeé – mit einem tragischen Rückfall.
An Selbstbehauptung läßt die Schau keine Wünsche offen. Kaum drei kleine Schritte im Raum, wird der Besucher von einem Blick Tübkes geprüft . „Freund oder Feind?“ fragt der Meister als „Harlekin“ (1980), leicht erhobenen Kinns. Mit skeptischem Mund, die Augenbrauen distanziert-erstaunt gebogen. Wie auch sonst! Auf der Straße der Besten gibt es nur ein Gesicht. Einige der, bei gequälten und glückhaften Ausnahmen, als hochnäsig empfundenen Selbstbildnisse bilden das Entreé, die Plakatwand „Hier bin ich!“. Den Selbstbildern assistieren Werke zu eigenen Jubiläen, „Eine Auffindung“ (1979) und „Geburtstagsfeier in der Springerstraße 5“ (1980). Als sizilianische Marionetten verkleidet, gibt Familie Tübke eine ausländische Delegation. Auf der Festtagstribüne steht das exorbitante „Selbstbildnis mit roter Kappe“ (1988), das Siegerbild von eigener Hand nach der Malschlacht bei Frankenhausen.
Muß Tübke Defizite ausgleichen? Sieht er Stolperdrähte auf dem Wege vom sozialistischen Rummel zum kapitalistischen Kult? Mußte das Ereignis mit 33 Bildern, mit jeweils einem knappen halben Hundert Aquarellen und Zeichnungen unbedingt so vollgepfropft werden, obwohl kein größerer Veranstalter sich fand? Ach, schwer hat man’s. Manche mögen ihn nicht. Er gehört zu den Künstlern, die sich empören, ohne ihr Wissen, sozusagen informell, als Staatskünstler geführt worden zu sein. Hätte der Kurt Hager doch ehrlich fragen können: „Tübke, willst du wohl mein Staatskünstler sein?“ Hat er aber nicht. Wirklich infam von der DDR, das.
Egal ist es nicht, aber schnuppe. Sparkasse geht’s auch ganz gut. Es sind so viele neue Freunde da. In wenigen Jahren wird sich durchgesetzt haben, daß der Name Tübke, statt wie bisher üblich kurz, dann als Tüübke ausgesprochen wird. Sie haben ihn evaluiert und angenommen. Den leicht gebeugten, hageren Partystrauß, der mehrmals die Woche durch Smalltalks tourt. Die Aufträge kommen und werden größer. Tübkes Ausstattung für die 1993er Bonner Inszenierung des „Freischütz“ war erfolgreich, das Echo groß. Davon sind viele Vor- und Nebenarbeiten zu sehen. In neuen Zeichnungen entwirft er ein großes Altarwerk für eine Kirche in Zellerfeld.
Stärker noch als die persönlichen Bezüge drängen sich im Krochhaus Bedenken auf, denn man registriert ein Resümeé selbst im Neuen. Die egozentrische Einleitung bleibt sowieso retrospektiv. Viele der ausgestellten Aquarelle gehören zum bekannten und akzeptierten Bestand der Tübkeschen Kunst. Mehrere Gemälde fassen das Tun des Künstlers als Summe. Er holt sein „Personal vor Sonnenuntergang“ (1993) oder als „Letzte Wahrnehmungen“ (1990) zusammen. Etliche Bilder, auch die Dekoration des „Freischütz“, sind mit Gestalten gefüllt, die aus dem Bauernkriegs-Panorama entlaufen sind und seitdem nichts zu essen bekommen haben. Gewiß hat sich Tübke bemüht, die Jägerromantik der Oper auf der Basis holländischen Landschaftsdämmers mit bleicher Glätte zu umgehen (ohne Zitate geht auch das nicht ab) und war bestrebt, die Aufzüge zu unterscheiden. Aber gerade der ehrliche Versuch, auf die Oper einzugehen, ist nichts für ihn. Durch die Wälder, durch die Auen zog Tübke leichten Sinns dahin? Das klappt auch mit toten Bäumen nicht. Der dritte Aufzug ist Puppenstube, gut gemalt.
Möglicherweise läßt sich manches aus der mittelalterlichen Apokalypse in die Wolfsschlucht übertragen, wo die Pforten der Hölle geöffnet werden. Gewiß gibt es in Tübkes Version neues phantastisches Getier, ein paar weiter verschobene Verrenkungen, die Farben sind kühler und delikat. Das dreiteilige Bild der „Wolfsschlucht“ ist nicht übel, besser als die Oper. Diese verrückte Tonlage kann Carl Maria von Weber nicht haben. Aber es enttäuscht sehr, wie schwerfällig sich Tübke bis in die Komposition hinein vom Bauernkriegsschema löst, daß er abgelegte Karten auf den Tisch schummelt, manchmal, ohne sie neu zu mischen. Der Stil erschlägt das Thema. Er besitzt selbst soviel Ausdruckskraft, daß man die besseren „Freischütz“-Arbeiten, übertreibend, auch als „Narrenfeld“ lesen könnte. Tübke, muß man schlußfolgern, wiederholt sein Spiel.
Der tödliche Figurenstil, hat der Maler gespürt, das Grausen der kalten Ekstase, der verkrampften Musik ohne Instrumente, gehört unmöglich in ein Altarbild, vor dem sich hoffende Menschen beugen wollen. Und was macht er in den Skizzen für Zellerfeld: Kopiert, hält sich so nahe an Mittelalter und Renaissance, daß für Kunst kein Platz mehr bleibt. Er verleugnet sich nicht vollständig, ein „Todesengel“ von 1993 kann als seine Erfindung gelten. In den Skizzen danach aber macht er echtes Mittelalter-Design. Ein eklatanter Rückfall.
Deshalb muß wohl, was die Ausstellung an jüngeren Feinheiten enthält, warten. Dabei kann die wunderbare Manier verlorengehen, die den 1993er Narren-Tod so exzellent macht. Dabei wird die satte fin-de-siècle-Stimmung vergehen, die seltene neue Bilder haben. Damit sind vielleicht auch helle Himmel und vollere, im Format größere Figuren in Gefahr.
Tübke hat in den letzten Jahren manches probiert. Er hat gefunden, nicht nur gesucht. Aber er schwimmt. Stilistisch betrachtet, ist sein Boden nach wie vor das Gerüst von Bad Frankenhausen. Das ist allerdings abgebaut. Was er für Zellerfeld betreten hat, ist nicht seins. Und wir hatten schon angenommen, Tübke müßte nicht mehr borgen. (2001)
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