Noch einmal ein Artikel über ein „Musikbild“, entstanden für das „Gewandhausmagazin“, dort mit einer schönen Abbildung (hier von flickr). Es geht um Eros und Agape, um die himmlische und die irdische Liebe, und andere Aspekte im „Gehörsinn“ von Jan Brueghel und Peter Paul Rubens, aus dem Fünf-Sinne-Zyklus im Prado.
Die merkwürdige Blickregie dieses Bildes irritiert. Die Augen gehen zunächst einmal glatt durch den Raum hindurch, hinaus in die Weite dahinter. Erst dann, aber durchaus energisch, wird man in den Saal geführt, der Blick der nackten Frau zieht die Wahrnehmung auf sich. Sie ist mit einer Unmenge an schönen Dingen umgeben, die so hingerückt sind, dass man sie gut betrachten kann. Viele Details sind brauntonig, hell stechen die Figuren, die Notenblätter und das Sonnenlicht hervor. Eingefasst ist das Bild von zwei Partien dominanten Rots.
Das Gehör oder Der Gehörsinn von Jan Brueghel dem Älteren (1568 bis 1628) und Peter Paul Rubens (1577 bis 1640) gehört zu einem Zyklus der fünf Sinne. Wie an dieser Stelle bereits erwähnt – in GewandhausMagazin Nr. 63 –, waren allegorische Bilder über die Sinne des Menschen im 16. Jahrhundert sehr in Mode gekommen.
Rubens malte hier die Figuren, Brueghel alles andere. Der Kürze halber sei es Jan Brueghels Bild genannt. Ihm oblag die Konzeption und, die größte Fläche zu malen. Es ist auch argumentiert worden, nur Rubens hätte ein solches Programm entwerfen können, aber das ist wohl falsch. Es sind Untermalungen von Brueghel gefunden worden, und signiert hat nur Brueghel. Das hätte sich der Rubens nicht gefallen lassen.
Die beiden Maler standen – Rubens ohne Frage eine Stufe höher – an der Spitze der Künstlerschaft Antwerpens. Die Stadt verschenkte ihre Werke an ausländische Mächte, um sie sich gewogen zu machen. Vor allem in das Atelier von Rubens, aber eben auch zu diesem Jan Brueghel – die Familie der Pieters und Jans, der Älteren und der Jüngeren, lässt ja einige Verwechslungen zu – sind fürstliche Besucher geführt worden.
Sehr oft hat Jan Brueghel der Ältere mit anderen Malern zusammengearbeitet, mit Hendrick van Balen, mit Josse de Momper – für den malte er die Staffage, sonst war es umgekehrt. Hans Rottenhammer und Jan Brueghel schickten sich die Bilder sogar auf dem Postweg zwischen Augsburg und Antwerpen zu, um gemeinsam zu produzieren. Der Zusammenarbeit Jan Brueghels mit Rubens, der immer die Figuren malte, ist sogar schon eine Ausstellung gewidmet worden.
Diese Kooperation war nicht alltäglich, aber offenbar keine Seltenheit. Die Ateliers der beiden lagen nahe beieinander, man konnte die Werke hin und her tragen lassen. Einzelne Bilder sind analysiert worden, dass Brueghel zunächst die Komposition herstellte und recht weit ausmalte, dann Rubens auf zum Teil recht wirsche, rücksichtsarme Art die Mythologien hineinsetzte. Abschließend stellte dann Brueghel die Eleganz wieder her und band die Figuren durch Korrekturen und feine Änderungen – überschnittene Konturen und in der Größe passende Umgebungsdetails – besser ins Bild ein. Im vorliegenden Bild könnte Jan, sei spekuliert, in diesem letzten Arbeitsschritt der Venus das blaue Kleid unter den Hintern gerückt und den orangenen Stoff über die Stuhllehne gehängt haben.
Der Zyklus der fünf Sinne ist nach Klaus Ertz, der dem Flamen ein halbes Leben auf der Spur war, die »nicht mehr steigerbare Zusammenfassung« des Themas. Er entstand 1617/1618 im Auftrag des Brüsseler Erzherzogs Albrecht auf fünf reichlich einen Meter breiten Bildern. Als der ältere Jan Brueghel dieses Bild malte, war er auf der Höhe seines Ruhms. Nach mehrjähriger Italienreise malte er ab 1596 wieder in der Stadt und offensichtlich sogleich mit Erfolg.
Das Gehör hat, und dafür übernimmt die Bogenöffnung die wichtigste Funktion, vermutlich in der Mitte der fünf Bilder gehangen (auch darüber gibt es verschiedenen Meinungen). Die drei Bögen sind vielleicht ein bewusster Reflex auf Jan van Eycks Madonna des Kanzlers Rolin. Wie dort die reale Welt im Hintergrund einen Kontrast zur Vision der Madonna durch den Kanzler bildet, so besteht hier ein Gegensatz zwischen der Realie des erzherzoglichen Schlosses zur unwirklichen mythologischen Szene mit dem musikalischen Rehbock.
Dieses Tier war offenbar im 17. Jahrhundert als Symbol des Gehörsinns öfter in Gebrauch. Es lauscht der blind spielenden Venus, die sich umdreht. Hübsch beult sich ihr Hintern über den Hocker. Hingerissen ist der Amorknabe von ihr, der nicht nur die Seiten umblättert, sondern kräftig mitsingt.
Wenn alles auf diesem Bild, das Geräusche machen kann, anfinge, Töne von sich zu geben, wir hätten einen schönen Krach. Rechts auf dem Tisch ticken, rasseln und quietschen die Uhren und Globen, dort und unter dem Tisch sind eine Glocke, Jagdhörner, Trompeten und Fanfaren versammelt, von hinten lehnt eine Harfe am Tisch.
Für eine bloße Allegorie des Gehörs liegt also, wie schon jetzt gesagt werden kann, obwohl das meiste noch gar nicht genannt ist, viel zu viel herum. Der Zyklus ist gleichfalls eine enzyklopädische Angeberei, die die frühe Neuzeit so liebte, höfische Repräsentation all der wunderbaren Dinge, die Albrecht und Isabella von Brüssel besaßen – und Brueghel hat noch ein paar dazu gelegt. In diesem Sinne sind es Wunderkammern, die das Ingenium der Kunst, Kunstfertigkeit und Wissenschaft feiern und beweisen, dass die Magnifizenzen sich verdient darum machen.
Im linken Vordergrund steht ein runder Tisch, auf dem reihum sieben Notenhefte aufgeschlagen liegen, das Kammerorchester hat aufgehört zu spielen. Auf dem mittleren Notenblatt steht das Wappen des Auftraggebers und der Name eines Hofmusikers: Pietro Philipp Inglese. Auf einem anderen Blatt ist zu lesen, dass ein Madrigal gespielt wurde. Drum herum sind viele Instrumente verteilt, die Barbara Welzel („Der Hof als Kosmos sinnlicher Erfahrung. Der Fünfsinne-Zyklus von Peter Paul Rubens und Jan Brueghel d. Ä. als Spiegel der erzherzoglichen Sammlungen Isabellas und Albrechts Habilitation 1987) exakt ermittelt hat – unter vielen Blockflöten, Gamben auch eine Violino piccolo, eine Lira da braccio und ein Corno torto, das vor allem für vokalische Kirchenmusik verwendet wurde. Sie lehnen, stehen und liegen auffällig verlassen an Tisch und Hockern. Links außen, angeschnitten, sieht man das Cembalo, ebenfalls aufgeschlagen, spielbereit.
Merkwürdigerweise wird die Tatsache, dass dort ausgerechnet sieben Musiker am Werk sind oder waren und dass dort Madrigalnoten liegen, von den Brueghel-Autoren nicht weiter erörtert. Zwar sind auch die freien Künste sieben an der Zahl, doch im Kontext der nackten Nachbarin uss man die christliche Sieben bevorzugen, die sieben himmlischen Tugenden beispielsweise. Denn im Gehörsinn wird hier doch auch die Musik an sich verpackt.
Was die nackte Venus für Musik macht, das wissen wir doch: jedenfalls keine christliche. Überdeutlich platziert Jan Brueghel Eros neben Agape, die musizierende Liebesgöttin neben den – verlassenen – Madrigaltisch. Deshalb ist dem runden Tisch mit den Notenständern mittig ein Aufsatz beigefügt, er verwandelt den Tisch in einen Paradiesbrunnen. Und die Uhr darauf – im Typus der Standuhren, die Architekturen adaptieren – hat eine Kuppel wie im himmlischen Jerusalem.
In den Bildern an den Wänden wird vorgeführt, wie das Gehör zum Gelingen der Welt, insbesondere ihrer christlichen Ordnung, beiträgt. Rechts oben singt Orpheus den Tieren. Links der Balustradenöffnung hängt unten eine Verkündigung Mariä, oben vermutlich die musizierenden Musen. Das Cembalo ist mit der Verkündigung an die Hirten bemalt. Weitere, kaum zu erkennende Bilder hinten in der Nische, in der eine Gruppe real musiziert, untersetzen das Bild ebenfalls christlich. Der Vorhang vor der Raumtiefe links ist durch einen Kunstgriff wie vor das ganze Bild gehängt, freilich viel zu klein. Der Effekt des Augenbetrügens, des Trompe-l’œil, legitimiert den Maler erst als Künstler.
Nicht unterschlagen im großen Konzert für das Ohr seien die Papageien, beginnend mit zwei rotgefiederten Exemplaren im rechten Bogen unten auf dem Geländer über dem fast grauen im Käfig (noch eine Anspielung?). Sie vertreten die ungeformte Welt der Geräusche, die das Ingenium der Kultur erst erziehen, verbessern, kultivieren muss. Der Kakadu bei der Venus soll auch auf ihre Schönheit anspielen, und er ist ihr so nahe, weil er die menschliche Stimme, die Worte der Vernunft, immerhin nachsprechen kann.
Dagegen ist die sinnliche Katze, die unter dem Stuhl hervorkraucht, bekanntlich nur in der Lage, geil zu miauen. Dort irritiert ein weiteres Detail, dass der Aufklärung harrt: Es muss Malerabsicht sein, dass dort eine großartige Löwenpranke (?) und das Katzenpfötchen im Gleichschritt gehen. Aber warum nur? Was verbirgt das blaue Tuch?
Neue Interpretationen betonen die politischen Aspekte des Zyklus’. Durch die Einschreibung der fünf Sinne in den eigenen Reichtum an Kunst und Wissenschaft wird der »Hof als Kosmos sinnlicher Erfahrung« präsentiert, mithin als Mitte der erfahrbaren Welt. Vielleicht ist deshalb so ein Spannungsmoment angelegt zwischen Hintergrund und Vordergrund – was Jan Brueghel anderswo auch eleganter gelöst hat.
Das Gebäude in der Tiefe ist Schloss Mariemont, das als Sommersitz der Brüsseler Erzherzöge diente. Die aufgeräumte, höchst kultivierte Parklandschaft wäre dann sowohl Topographie als auch Welt der realen Herrscher, der Ort ihrer guten Regierung, die die Fülle der Beweise im Vordergrund behauptet. Jan Brueghel der Ältere kannte den Ort so gut wie der Gärtner. Er hat das Schloss und seine Umgebung in mehreren Bauphasen gemalt. Als Beweis, wie genau er war, sei auf ein Blumenstilleben verwiesen, in dem 46 Blumensorten gefunden wurden sowie zwölf verschiedene Käfer, Raupen und Schmetterlinge.
Dass diese Weltordnung – vom Himmelsglobus bis zur integrierten irdischen Liebe – nur so sein kann, weil der heillose Kosmos – auch der Sinne – durch Christus erst errettet wurde, war selbstverständlich. Deshalb ist das Bild eben auch eingefasst von den Ankündigungen seines Kommens: vom mythischen Vorläufer Orpheus rechts außen bis links an Cembalo und Wand gegenüber.
Das Herzogspaar hatte allen Grund, auch mal zu betonen, wie standfest es im katholischen Glauben war. Albrecht VII. von Österreich, am Madrider Hofe seines späteren Schwiegervaters Philipp II. erzogen, heiratete dessen Tochter Isabella erst, als sie schon 32 Jahre alt war. Vorher war er nur Gouverneur der Spanier in Brüssel gewesen, durch die Heirat wurde er Eigentümer: Ab 1598 regierte Albrecht als Herzog von Burgund. So machten es bekanntlich die Habsburger: Kriege, glückliches Österreich, lass andere führen, du aber heirate – was Mars den anderen verschafft, gibt dir die göttliche Venus (»Bella gerant alii, tu felix Austria nube. / Nam quae Mars aliis, dat tibi diva Venus«).
Aber darauf spielt Brueghel wohl nicht an. Oder sollte man das Nebeneinandern von Musik für das christliche Gehör und für die menschliche Liebe noch einmal von der Biographie Albrechts her untersuchen? Vor seiner Herrscherkarriere – durch die Eheschließung auf den Thron gelangt – hatte er schon eine Priesterlaufbahn bis zum Erzbischof und Kardinalpriester hinter sich.
Es konnte aus anderem Grund nicht schaden, die ordentliche christliche Gesinnung der Herzöge einzuarbeiten in so ein komplexes imagebildendes Gemälde über den Kosmos der Sinne, den Hof, die Wissenschaft und die Kunst. Denn freigegeben hatte Spanien die südlichen Niederlande nur mit dem Geheimpassus im Vertrag, dass das Land an die katholischen Könige zurückfiele, wenn es zum Protestantismus überträte. Das passierte nicht, aber genützt hat es nichts, Rom treu gewesen zu sein. Denn außerdem war vereinbart, dass die südlichen Niederlande an Spanien zurückfielen, wenn kein Erbe geboren würde. Albrecht starb 1621 kinderlos, und die kurze frühe belgische Unabhängigkeit war wieder vorbei. (2011, Gewandhausmagazin)
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