Wenn es stimmt, dass die Affenfrau Koko auf Francine Pattersons Frage, wie Gorillas eigentlich sterben, geantwortet hat: „bequemes Loch, bye bye“, dann muss die Krone der Schöpfung, das menschliche Tier, wohl einiges überdenken. Am 4. Juli wird Koko 40 Jahre alt. Sie lebt in der Gorilla Foundation in Woodsite, Kalifornien. Der Umzug nach Hawai ist geplant, ist bei Wikipedia zu lesen, wo man ihr und ihrem Partner Ndume ein Leben in natürlicher Umgebung bieten will.
Ihre Berühmtheit verdankt sie ihrem Lerneifer und Dr. Patterson. In einem Programm der Stanford University lernte Koko, so heißt es, 1000 Zeichen der amerikanischen Gebärdensprache und 2000 englische Wörter. Koko bestand auch den Spiegeltest für Ich-Bewusstsein, was Gorillas im Gegensatz zu anderen Menschenaffen normalerweise nicht gelingt (vermutlich, weil sie direkten Augenkontakt vermeiden). Übrigens vermögen das auch Menschenkinder bis gegen Ende des zweiten Lebensjahr nicht.
In den letzten Jahren kommen immer mehr Tiere – Delfine und Krähen waren die ersten – hinzu, die den Spiegeltest bestehen. Ihr Bewusstsein ist in dieser Hinsicht dem von kleinen Menschen vergleichbar. Es gehört also keine Prophetie dazu anzunehmen, dass uns künftig nach und neben Rassismus und Sexismus auch der Speziesismus etwas beschäftigen wird, dieser bisher nur in der Soziologie und Tierethik gebräuchliche Begriff.
Meint Rassismus die Ungleichbehandlung aufgrund der Rasse, Sexismus die wegen des Geschlechts, so fasst der Speziesimus die Ungerechtigkeiten zusammen, die Lebewesen erfahren, weil sie einer bestimmten Spezie angehören.
Das Verhältnis zwischen Tieren und Menschen ist bekanntlich merkwürdig. Einerseits liebt das menschliche Tier die nichtmenschlichen Lebewesen, andererseits behandelt es sie wie ein lebloses Ding, das gut schmeckt. Es gibt Tierschutzgesetze und Schlachthäuser. Die Philosophie nennt es eine Synthese von Fremde und Nähe: Wir sehen uns in ihnen gern, solange und je mehr sie uns ähneln, und stören uns an ihnen, wenn sie Dinge tun, die gegen unsere Zivilisiertheit verstoßen. Das gilt innerhalb der Menschenwelt übrigens genauso für das Verhältnis zum Fremden insgesamt.
Könnte sich eine Menschtierheit in zwei, drei Vierteljahrhunderten mit Grausen an die Barbaren der Vorzeit erinnern, die tierisches Fleisch aßen, sich in „Völkerschauen“ bis in die 1930er Jahre die tanzenden Neger und in Tierschauen und Zoos bis ins zweite Viertel des 21. Jahrhunderts die nichtmenschlichen Tiere vorführen ließen? Wahrscheinlicher ist, dass der Stärkere siegen muss, weil die Ressourcen schwinden, und sich weiter wie ein Sieger verhalten wird. Es steht nicht gut für die Gorillas.
Das Gondwanaland ist eine prächtige Sache. Die Tierhaltung in den Zoos hat sich ohnehin enorm verbessert. Viel besser ist erforscht, was die jeweilige Spezie für eine Umgebung braucht. Die größten Veränderungen in Gondwanaland allerdings betreffen wohl die Darbietung, die Regie für die erwünschte Reaktion beim Menschen: die Erde als Ökosystem in Bewegung. Drei Kontinente, aus der Geschichte Gondwanas heraus, erlebbar als Tropen; das Schwitzen wird kein Ende haben. Doch die Tierethik ist eigentlich schon weiter als die Eventkultur wissen möchte, auch wenn die einen guten Zweck erfüllt.
Allerdings sind auch Menschenaffenarten in der freien Natur gefährdet. Der Zoo könnte, sagt der Leipziger Direktor Jörg Junhold (im Interview für einen artour-Beitrag), die Verantwortung einer Arche Noah haben, gesunde Affenpopulationen zu erhalten.
Man wird weiter sagen dürfen: Du Affe! Du Schwein! Der Rettungsdienst wird nicht ausrücken, weil sich bei einem Verkehrsunfall ein Reh verletzt hat. Doch wird die Spezie Mensch sich kritisch mit dem eigenen Speziesimus auseinandersetzen müssen, weil mehr aus dem tierischen Tierleben erkannt wird.
Viele biologische und soziale Details, in denen sich der Mensch, dessen ganze Kultur auf dem Speziesimus beruht, von den „nächsten Verwandten“ unterscheidet, sind flöten gegangen. Viel Faszinierendes aus der Kultur und Soziologie der tierischen Tiere ist bekannt geworden. Das Recht der Tiere wird seit jeher diskutiert, auch das Freiheitsrecht. Wer Zoos als normal ansieht, glaubt an das höhere Rechtsgut, zum Beispiel der Bildung des Menschen. Es gibt gute Gründe dafür, und die Macht der christlichen Tradition ist stark. Das Great Ape Project bestreitet die guten Gründe und hat sie selbst.
Schon 1789, im Jahr der Proklamation der Menschenrechte, war man der Überzeugung, dass das wichtigste Kriterium für Gleichbehandlung in der Welt nicht Sprache, Rationalität und Aussehen sein können. In Jeremy Benthams Introduction to the Principles of Morals and Legislation ist zu lesen: „Die Franzosen haben bereits entdeckt, dass die Schwärze der Haut kein Grund dafür ist, jemanden schutzlos der Laune eines Peinigers auszuliefern. Es mag der Tag kommen, da man erkennt, dass die Zahl der Beine, der Haarwuchs oder das Ende des os sacrum gleichermassen unzureichende Gründe sind, ein fühlendes Wesen demselben Schicksal zu überlassen. Was sonst ist es, das hier die unüberwindliche Trennlinie ziehen sollte? Ist es die Fähigkeit zu denken, oder vielleicht die Fähigkeit zu sprechen? Aber ein ausgewachsenes Pferd oder ein Hund sind unvergleichlich vernünftigere und mitteilsamere Lebewesen als ein Kind, das erst einen Tag, eine Woche oder selbst einen Monat alt ist. Doch selbst vorausgesetzt, sie wären anders, was würde es ausmachen? Die Frage ist nicht: können sie denken? oder können sie sprechen?, sondern können sie leiden?“
In Basel gibt es die Gorillafrau Goma, ein früherer Fernsehstar. Sie ist genau so alt wie ich, 52 Jahre. Weil ihre Mutter sie ablehnte, zogen der Zoodirektor Ernst Lang und seine Frau das Affenbaby auf. Lang erzählte später, er hätte damals zu seiner Frau gesagt: „Du hast Dir doch immer ein Mädchen gewünscht, jetzt hast Du eines, allerdings ist es ein bisschen haarig“. Es gibt lustige Kleinkind-Fotos von der mickrigen Goma, wie sie in Windeln im Kindergatter steht (sie war gewiss flugs drüber). Nach dieser Kindheit als Menschenkind zog Goma wieder ein, in den Käfig, wo sie seither lebt. Sicher unter besten Bedingungen; wer kann beweisen, wer definiert, dass sie leidet?
Noch hält ebenso das Wissen, dass Tiere nichts von ihrer eigenen Sterblichkeit wissen. Gorillafrau Kokos verflucht lässige Antwort „bequemes Loch, bye bye“ sagt etwas anderes. Vielleicht sind die Orang-Utans, die Wald-Menschen, wirklich klüger. Ihre unmittelbaren Nachbarn, die „Eingeborenen“ aus der Rasse der „Neger“, waren der Meinung, dass Orang-Utans nicht sprechen, um nicht arbeiten zu müssen.
Das Bentham-Zitat und sehr anregend: Johann S. Ach, Martina Stephany (Hg.): Die Frage nach dem Tier, Berlin 2009 (Münsteraner Bioethik-Studien, 9)
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