Die Biographie dieses am 18. August 1911 geborenen Malers aus Dessau in Sachsen-Anhalt verzeichnet etliche Brüche, Verhinderungen, Leerzeiten. Sie waren am 10. März 1991, dem vermutlichen Ende seines Lebens, nicht vorbei. Dubiose Umstände, herbeigeführt durch vermeintliche Erben, begleiteten seinen Tod. Bauhaus-Mitarbeiter retteten sein Werk vor Container und Ramschverkauf. Erst 2004 wurde in Halle an der Saale möglich, einen der letzten Bauhäusler, einen „Eigenbrötler“, einen unangepassten Maler über seinen früheres Image als Geheimtipp hinaus kennenzulernen.
Bei allen Wendungen: das Leben des Carl Marx folgt innerer Logik. In ärmster, engagierter Arbeiterschaft in Dessau-Ziebigk aufgewachsen, konnte er 1932 am Bauhaus studieren, nach der Vertreibung aus Dessau bis zur Schließung 1933 in Berlin.
Eigentlich hätte sein sozialdemokratisch stolzer Vater ihn Karl Marx nennen wollen. Ein Amtsfehler erzeugte den Carl mit C. Als Carl Marx nach etwa 1947 in Distanz ging, sagte er gern spöttisch, er hätte ja seinen eigenen Marxismus, den „C.-Marxismus“. Den euphorischen Neuanfang nach dem Weltkrieg kühlte politische und ästhetische Distanz zu den neuen Doktrinen ab. Marx malt nüchterne realistische Bilder vom herben Nachkriegsleben, am Rande des expressiven Realismus’ der sogenannten „verschollenen Generation“. Die Maximen des Bauhaus bleiben als Formgesinnung im Hintergrund. Doch kühle, rationale Konstruktion entspricht ihm nicht. Er ist sinnlicherer Natur, braucht Geschichten und Esprit.
Völlig entschieden sind die neuen Fronten 1957/8. Marx gehört zu den „Formalisten“, denen im Hallenser Raum im Vorfeld des „Bitterfelder Weges“ regelrechte Prozesse gemacht werden. Er wird diffamiert, dem Virus bürgerlicher Kunst erlegen zu sein. Danach hält er sich mit „Kunst am Bau“ gut über Wasser. Ende der 60er jedoch wird Carl Marx, obwohl (und weil) es weiter Widerstände gegen eine Ausstellung in Halle gibt, langsam zum Geheimtipp. Er verkauft fortan sehr gut, hat immer Geld in der Tasche. Er spendet erhebliche Summen auf Solidaritätskonten, unterstützt von der Staatsmacht behinderte Bekannte und schlägt bis zum Ende der DDR sogar die normale Altersrente aus. Er lebt bewusst spartanisch, nie wird er einen Kühlschrank haben. Jeder in Dessau kennt Carl Marx, das ist der schöne Mann mit dem Fahrrad, der sommertäglich im Strandbad „Adria“ die Frauen bewundert.
Er malt sie. Frauen im Schwimmbad, im Park, ortlose Akte, Frauen im Café. Sie treten metaphorisch verwandelt auf, als merkwürdige Vögel, umschwärmt von Fischen, sie sind verkleidet als diverse Figuren bei Shakespeare, sie verfügen über Don Juan, auch nackt sind sie „bekleidet mit Farbe“, wie es der Maler selbst ausdrückt.
Wenn Marx ein „Arbeiterbild“ malt, dann ist es eine feurige „Schweinezüchterin“, die just einen bebrillten Intellektuellen (die geistige Macht) verhöhnt. Diese „Gegenbilder“ zum offiziösen Auftragsbild liebt er. Gern klebt er die Anlässe solcher Eregungen auf die Rückseiten, oft Zeitungsartikel. Seine „Gegenbilder“ fielen Ende der 80er Jahre weit sarkastischer aus, in der Wendezeit trafen sie auch die neuen „Jobber“ aus dem Westen. Das Ende der DDR überrumpelte und überforderte den alten Linken. In diesen „Gegenbildern“ zeigt sich allerdings auch die Provinz seiner Erregungen, und wie er bis weit über die Knie in der DDR und im „Bezirk Halle“ stand. Wenn er es schaffte, die biederen Rahmen zu überspringen, dann mit seiner Leidenschaft, seinem Schmerz, seiner Wut.
Im Grunde malte Carl Marx die Lüste des Sommers. Dünn, aber energisch gespachtelte, bekratzte, expressive Szenarien, in denen der Eine die Eine beäugt. Ironisch ist Marx, blinzelt verschwörerisch, oft träumerisch, immer auf den „Esprit“, auf die psychische Attraktion aus. Marx, ein „Vollblut-Asket“, wie Andreas Hünecke, der Nachlassverwalter, es nennt. Dieser Carl Marx suchte in der Malerei solche Momente zu verewigen, in denen die Lebenslust als komplexe, geradezu metaphysische Erfahrung aufblitzt.
In intensiven Briefwechseln zwischen Carl Marx und dem Bauhaus-Forscher Eckhard Neumann, mit dem Hallenser Kunsthistoriker Wolfgang Hütt und mit der Schülerin Elisabeth Strahler ist ein unerhört vitaler Künstler kennenzulernen, der die besten Bilder „auf Stapel legte“ und damit dereinst, mit seinen „Kindern“, „auftrumpfen“ wollte. Er starb in den Umbrüche nach 1990, bevor er sich neu positionieren konnte, noch vor einer geplanten Ausstellung zum 80. Geburtstag. Erst in Halle (Talstraße) und Potsdam 2004/5 wurde das Bild des ironischen, fröhlichen Frauenliebhabers, mit dem Carl Marx zum Geheimtipp wurde, korrigiert. Es gibt viel bessere, krude, rabiate, verzweifelte Malerei von ihm, die erstaunlicherweise an die ganz weit entfernten Maler der CoBrA – Alechinsky, Lucebert – erinnert, sogar an den jungen Kirkeby, freilich einen szenischen Grund behält. Aber unbedenklich verletzt der Künstler jegliche figurative Fasson zugunsten geradezu wütend sinnlicher Energie. Carl Marx, auch insofern sind die Übersichten zur Kunst in der DDR zu korrigieren, war am Ende seines Lebens einer ihrer jüngsten Maler, freilich sehr verzweifelt.
(2011 überarbeiteter und ergänzter Text von 2004)
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