Über das Leipziger Freiheits- und Einheitsdenkmal. Eine informelle Alliance für ein Denkmal in Leipzig schaffte es, dass Ende 2008 das Berliner Parlament anders als noch ein Jahr zuvor beschloss: auch in Leipzig werde ein Freiheits- und Einheitsdenkmal errichtet. Wie konnte Berlin bis dahin übersehen, dass Leipzig einen großen Anteil an den welthistorischen Leistungen hat? Soweit so gut. Nun hat Leipzig ein paar Erinnerungsorte, und die Nikolaikirchhof-Säule steht an der richtigen Stelle. Die weit überwiegende Mehrheit der Leipziger fand ein weiteres Denkmal überflüssig, aber das kann die politische Klasse wenig scheren.
Denn das muss manchmal so sein. Soziale Meinungsgewebe stimmen mit der Realität nicht überein. Sie sind dissonant, sie können sogar Wahngebilde werden. Sie kommen mit der Realität nicht mehr mit, irren mitunter viele Jahrzehnte, und wenn sie sich nicht revidieren, wie die Pax Romana, geht unter, was sich daran klammert. Es gibt jüngere Beispiele. Wie man hinterherhinkt, so jagt man voraus: Politische Akteure der sozialen Ideen müssen permanent der Zeit vorangehen, sie wollen das Beste für das Staatsvolk und es notfalls auch ertrotzen. Umweltpolitik gibt gelungene Beispiele dafür.
Auch für das Freiheits- und Einheitsdenkmal gilt das Nachholegebot der repräsentativen Demokratie: Entweder Bürgermeister und Stadtverordnete schwärmen aus und werben dafür, oder eine herbe Dissonanz zwischen Stadtvolk und Stadtregierung bleibt vorerst bestehen. Denn die Akzeptanz für das Denkmal begann weit unter 30 Prozent, ehe die nächste, besser gemachte Presse-Umfrage den Anteil der Befürworter als etwa verdoppelt mitteilte.
Daran ist zu zweifeln. Noch zur kürzlichen Bekanntmachung des Wettbewerbsverfahrens gibt sich die Stadtverwaltung die Blöße auf eine Umfrage hinzuweisen, die Anfang 2011 innerhalb von vier Wochen 3000 Leipziger befragte. Es hätten 54 Prozent der Bürger votiert, dass das Denkmal eine „große Bedeutung“ für die Stadt haben werde.
Schaut man sich die Umfrage aber einmal an, stößt man auf zwei Haken: Erstens hatten die Befragten gar keine Chance zu erklären, ob sie sich für oder gegen so ein Denkmal stellen. Sie sollten – geschickt gekoppelt an die Frage, welche Bedeutung die Friedliche Revolution für sie persönlich gehabt habe – lediglich beantworten, welche Bedeutung dieses „geplante Denkmal“ für die Stadt habe. Und was haben sie wirklich gewertet? Die Befragten legten auf einer Skala von 1 bis 5 (sehr große-große-mittlere-gering-keine) die Bedeutung lediglich, wenn ich die Grafik der Stadt richtig verstehe, auf etwa 2,6-2,8. Man lese die Interpretation der Stadt.
Lassen wir außer Acht, welche politischen, welche nahrungsnetzlich interessierten Akteure welche Argumente vorbringen, welche ideologischen Klischees benutzt werden, wie der Fetisch „Freiheit“ in diesem Gebrauch schillert. Vermieden sei ebenfalls die Frage nach der Modernität der nationalen Feierlichkeit. Nicht diskutiert sei die Abneigung gegenüber einem Denkmal bei Leuten, die die historische Bedeutung der Ereignisse sehr betonen. Es gibt Argumente, so etwas im Internet-Zeitalter für obsolet zu halten. Ich schlage stattdessen vor, die Sache pragmatisch zu sehen.
Erstens städtebaulich: Für 6,5 Millionen Euro kann man ein kapitales Bauwerk errichten. Das muss nicht einmal in Richtung Ringbebauung klemmen, und eine städtebauliche Dominante könnte in andere Richtung eine starke Achse zum Völkerschlachtdenkmal, bilden, nicht zu vergessen über den Russischen Pavillon. Als unter-der-Hand-Argument hört man aus der Stadtverwaltung ohnehin, wenn es um den Standort geht: Da passiert auf dem Leuschner-Platz endlich etwas.
Zweitens touristisch: Vielleicht ändern sich ja die Verhältnisse in der Volksrepublik China bald in eine Richtung, dass die Chinesen auf einer Europatour den Mythos der Stadt der friedlichen Revolution einfach besuchen müssen. Dieses Argument gilt ähnlich auch ohne Chinesen. Für die Musik- und Kultur- und Szenestadt ist die Friedliche Revolution keine Konkurrenz, es geht da um ganz andere Mentalitäten. Revolutionsromantik kann sich auszahlen.
Drittens, ich wiederhole: pragmatisch: mit Gewöhnung: Wem als Erinnerungsmerkmale für zum Beispiel den 9. Oktober der politische Pathos aus „Deutsche Einheit“ und „Freiheit“ nicht passt, der überlege, in welchem Geiste das Völkerschlachtdenkmal entstand. Mit der Völkerschlacht hat das viel weniger zu tun als mit dem späteren, dann dem Wilhelminischen Nationalismus und Militarismus. Aber das ist vergessen, und wie gut ist das Denkmal heute besucht. Vielleicht bekommen wir das letzte Denkmal für den Nationalstaat Deutschland. Das wäre doch wunderbar.
Oder, weniger pragmatisch als eine Hoffnung, es entsteht wirklich etwas Gutes. Die Ausschreibung formuliert differenzierter als der Name des Denkmals, wenngleich unlösbar. „Es soll das Vermächtnis der Friedlichen Revolution, die urdemokratische Tatsache, dass sich das Volk selbst zum Akteur seiner Geschicke erhob und zugleich die Friedfertigkeit zum Handlungsmuster erklärte, in einem öffentlich sichtbaren Zeichen für die Nachwelt bewahren…(,…) soll sich in differenzierter und sensibler Art und Weise der Herausforderung stellen, die Friedliche Revolution als ein Kernstück des zustimmungsfähigen Stranges der deutschen Geschichte zu thematisieren und den tradierten und affirmativen Formen der Denkmalkunst früherer Epochen eine neue Formensprache entgegensetzen.“ Schaut man auf die Fachseite der Jury, darf die Hoffnung gehegt werden, es entstünde weder ein Denkmaltypus Mendelssohn noch Wagner-Klinger-Balkenhol. Doch das sind Hoffnungen. Auch der Berliner Schalen-Entwurf von Johannes Milla und Partner und Sasha Waltz hat den Praxis-Test noch nicht bestanden.
Die Kritik lautet unter anderem, das Leipziger solle besser „Denkmal der enttäuschten Hoffnungen“ genannt werden, denn da sei nichts zu feiern. Sarkastisch gesagt: Auch da hat die repräsentative Demokratie noch viel zu tun: Leuten, die beschissen leben und fühlen klarzumachen, dass sie in der Wahrheit des politischen Systems durch eben jene Ereignisse viel besser dran sind. Ihren Einwänden kann man mitunter mit der schlichten Bitte begegnen, sich die Stadt und das Leben in ihr doch einmal vorzustellen in Verlängerung des Sommers 1989, ohne die Ereignisse des Herbstes.
Ohnehin ist ein Denkmal mit Klagen aus persönlicher Erfahrung überfordert. Es kann kein Identifikationsmodell für individuelles Leben sein – es ist ein Symbol für eine politische Sphäre, nicht weniger, aber auch nicht mehr.
Das beste Argument bleibt doch die vergehende Zeit. Schon finden die jüngeren Enttäuschten ihre Gründe ganz woanders. Es spricht also viel für so ein Denkmal, pragmatisch gesehen, zumal, rein rechnungstechnisch, von der Stadt aus betrachtet: es ist geschenkt!
Wer sagt denn, dass das Denkmal nicht noch gebraucht wird für die Reklamation von bürgerlichen Freiheiten. Nebenbei: der Platz wird doch videoüberwacht, oder etwa nicht? Die Welt bewegt sich schnell. Um noch einmal auf die repräsentative Demokratie zurückzukommen und gewisse Scheren, als Koinzidenz verschiedener Weltenpole, und sage niemand, das gehe uns nichts an, es ist politische Kultur: Neulich geriet ganz kurz die US-amerikanische politische Öffentlichkeit in eine Diskussion, ob ein US-Bürger rein auf Geheimdienstwissen hin per Staatsauftrag ermordet werden dürfe. Es ging um den smarten Al-Qaida-Prediger Anwar al-Awlaki in Jemen. Parallel wurde auf dem Parteitag des „Geeinten Russland“ der mächtige Putin als nächster Präsidentschaftskandidat gekürt. Inzwischen hat er, war zu lesen, „politische Säuberungen“ angekündigt, wenn er wieder Präsident werden sollte. Als die Delegierten des „Geeinten Russland“ ihn mit Tausenden Stimmen wählten, hat es wohl eine Gegenstimme gegeben. Putin habe sich gefreut und gefragt: „Wo ist der Mann“?
Comments are disabled for this post