Gespenster im Leipziger Centraltheater. Demnächst werden ambitionierte Theatermacher vermutlich auch Witze gegen deren Dramaturgie zu bürsten versuchen. Die zuerst mitgeteilte Pointe kann dann keine sein, sondern die Darstellung eines Sachverhaltes, der bestenfalls irritieren dürfte, weil er leer im Raum steht. Seine erst anschließend dargestellte absurde Voraussetzung, die vormalige Spannung, seine Fallhöhe, läßt final gähnen: Aha, so war das gemeint.
Regisseur Robert Borgmann nützt die Fallhöhe des Theaters in anderem Sinne gründlich aus. Vom Vatermord (Bronnen) ausgehend, hat er im anti-antiquen Kampfstil gegen die Amazone „Penthesilea“ (Kleist) so viel Kraft verloren, dass ihn die „Gespenster“ der Bühne wegen neuerlichen Vatermords, nun zuzüglich Mutter- und Dichtermordes, mit Lähmung bestraften.
Es gab Momente in der Premiere am Sonnabend, die aufmerken ließen, parallele Bewegungen zwischen Video und Wintergarten, Dunkelheit mit suchendem Licht. Der musikalisch ruhige Anfang, sogar bis zu den ersten Sätzen, war hoffnungsvoll stimmig. Doch am Ende wurde Probiertheater daraus, das seine Wirkung nicht kontrolliert. Junge Leute neben mir, die das Stück nicht kannten, waren hilflos und verlassen. Man kann es probieren, hier ist es Gift und Blei: Der zweite und dritte Akt werden vor dem ersten gespielt.
Der „Witz“ ist raus, der nun finale erste Akt wird nach der Pause zum Erklärstück, dessen Ergebnis wir längst kennen. Heraus stachen dort noch zwei Passagen: die Vulgarisierung der Ibsenschen Gedankenstriche, mit der Regine ihre Rettungshoffnung in des Pfarrers Schoß zu betten versucht, und eine hinzugefügte Selbstentherzung des kranken Osvald. Dann robbt er noch einmal, verliebt mit Regine, durch das Wasser. Dieses Duo-Motiv bleibt auch hier der Schlüssel für die „Gespenster“, für den Vaterfluch, der die Kinder als Inzest bedroht.
Das Dilemma beginnt mit der Besetzung. Weder ist die in der Premiere auch tonlich gedämpft wirkende Janine Kreß eine vom Schicksal gehärtete, unglückliche Mutter Alving noch Hagen Oechel (schauspielerisch ersoffen in seiner allzu zu lässigen Leutseligkeit) ein anders schuldiger Kirchenbuch-Vater Engstrand. Wenn es es darum gehen soll, was Mütter und Väter den Söhnen und Töchtern als „Gespenstern“ aufladen, dann sollten die Figurentypen nicht dagegen arbeiten.
Ein Quintett desinspirierter Schauspieler und zwei Slowchill-Musikerinnen irren in einem etwas vernutzten Wintergarten – und um ihn – herum (Bühne Susanne Münzner). Ein Wasserbecken umgibt den Innenraum, aber fürchtet euch nicht, ist nur flach. Theaterdichter befahren meist tiefere Gewässer. Sie sind trotz gelegentlichen Drogenkonsums meist wenig blöde. Sie sind meistens sogar wunderbare Psychologen. Sie wissen, was man als Voraussetzung aufbauen muss, um einen enttäuschenden Umstand mitzuteilen.
Hier dürfen sich keine Motivationen entwickeln. Sie sind ja schon fertig im zweiten Akt. Also verwandeln sie sich in Behauptung. Das zweite Motiv Ibsens, neben der Syphillis des Vaters, die nun der Sohn bekommt, nämlich die Abschiebung des 7jährigen durch seine Mutter, wird wegen der Umstellung zunächst nur beiläufig behandelt; und als es im ersten Akt zur Rede des Pfarrers gehört, ist es zu spät. Von allem ist die Rede, doch Teilung und Verspätung verhindern, eine Ahnung entstehen zu lassen von der bösen Verschränkung Ibsens aus biologischen und sozialen Gespenstern: es sind zwei gebaute Asyle und zwei mal zwei Sorten von Kindschaftsverheerung – legitim und im Kirchenbuch, sorgend und verlassend.
Die Inszenierung beginnt auf der Hinterbühne. Nach der Pause zieht das Publikum ins Parkett und schaut von hinten auf den nun distanzierten Wintergarten mitten auf der großen Bühne. Wie das gemeint ist, dass die Szene jetzt rückwärts zu sehen ist und weg rutscht, wenn wir das „weiter weg“ Geschehene erzählt bekommen, ist zu verstehen. Doch wie nun alles in Distanz geht (Schauspieler mit Mikros), ist nicht zu ertragen. Wiederum theoretisch verständlich, dass am Ende die Gespenster-Welt eigentlich weitergeht. Doch das ist nur gemeint. Das Stück bleibt einfach stehen, und obwohl erst eine reichliche halbe Stunde seit der Pause vergangen war, schien es an der Zeit.
Thomas Lawinky weiß nicht, ob er blasser Diener oder kirchenfest oder feiger Freund sein soll, sein Pastor Manders ist ein lauer Textgeber. Alle Schauspieler waren schon weit besser zu erleben, die besten Auftritte haben die beiden „Kinder“, deren Figuren der Regisseur verändert. Marek Harloff als stimmlich müde-belegter, langsamer Osvald Alving leidet still und verantwortlich, er hat verstanden. Gleichwohl begehrt er am Ende (der Logik, nicht der Inszenierung) auf, begräbt die Mutter, um sterben zu können.
Regine Engstrand flieht. Linda Pöppel nutzt die dankbarste Rolle der Inszenierung. Wir sehen eine Regine, deren revoltierenden Potenzen betont sind. Obwohl als Figur zur ungenierten Vorteilsnahme geplättet, sind sie – und Osvald – wohl der Gewinn der ganzen Bemühung: Hört Kinder, das Aufbegehren, sogar der Ausbruch sind möglich, aber geht dann lieber mal zum Arzt.
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