Das speeding zur Gewandhauseröffnung (und der Mendelssohnfesttage) provoziert eine Nachlese. Auch die auf Mendelssohn folgende 6. Sinfonie von Gustav Mahler wurde am Freitag, wie erwähnt, rasend gespielt und klang teilweise, als sei sie Jahrzehnte jünger. Das hat überrascht und beeindruckt, das war wuchtig, wie sich in den Satzbezeichnungen findet. Freilich, siehe gestern…
Wenn der Solist Nikolaj Znaider in der Probe langsamer gespielt hatte, wie die späte Zeugenaussage mitteilte, wäre also im Konzert letzthin er der Antreiber gewesen, nicht Riccardo Chailly? Schon auf der kurzen Tournee zuvor hatten sie das Stück zusammen gespielt. Aus hiesiger Erfahrung möchte man Chailly als Beschleuniger vermuten.
Auf eine interessante Spur verhalf youtube. Dort finden sich etliche Aufnahmen von Mendelssohns Violinkonzert e-moll, meist nur der erste Satz. Tatsächlich sind mehrere auch jüngere Aufnahmen zumindest bemerkbar langsamer, als Znaider/Chailly/Gewandhaus in der Erinnerung waren. Itzhak Perlman ist der schnellste, mit deutlicher Virtuosengeste läuft er in einer Aufnahme dem Orchester davon; mit einem anderen aber, den Berliner Philharmonikern unter Barenboim, bleibt er langsamer als Znaider.
Hört man sich Jascha Heifetz an, auf den in den youtube-Kommentaren gelegentlich als weniger schnelle, emotionale Vergangenheit gewiesen wird, so zeigt sich, wie sich die Wahrnehmungen verschieben. Er hatte ja ehedem selbst als zu schnell und geradewegs gegolten. Allerdings kommt er zwischen den rasanten Passagen deutlich herunter und nimmt sich Zeit fürs Gefühl. Heute wirkt, was vor wenigen Jahrzehnten als eher kühle Interpretation galt, ausgesprochen gefühlsbetont.
Deutlich langsamer ist auch ein youtube-Video mit dem Gewandhausorchster unter Kurz Masur, aus den 80er Jahren wohl, übrigens klingt jenes darin recht konturschwach. Solist Frank-Michael Erben wird gelobt. Der aktuelle Kommentar meint, heute würden viele dieses Konzert sehr schnell spielen „and pretty much forget the passion“, Erben aber halte die Balance zwischen „fast and very passionately“, entsprechend dem Allegro molto appassionato. Ein anderer schreibt: „this guy makes me cry. this is such an emotional performance“.
Hellhörig macht das: Jascha Heifetz, längst ein Star, hat in einem New Yorker Konzert unter Guido Cantelli, der zwanzig Jahre jünger war, entgegen der Probenabsprachen bei eben jenem Mendelssohnschen Violinkonzert das Tempo erhöht und hat Orchester und Dirigent Längen hinter sich gelassen! Worauf Vater Heifetz backstage gegangen sein und dem Superstarsohne den Kopf gewaschen haben soll. Wenn man sich von dieser Geschichte aus Perlmans beschleunigte Lust an seiner Virtuosenkunst anschaut und nun hört, Znaider wäre der Beschleuniger in Leipzig gewesen – gibt es da eine Tradition?
Übrigens ließ sich Heifetz, der auch gegen die Eile in der Musik zitiert wird, schon 1966 einen Renault in ein Elektroauto umbauen. Es soll gute 70 Stundenkilometer gefahren sein, auch damals also doch eher: allegro non troppo.
Comments are disabled for this post