Nachdenken über Kunst, Drinnen und Draußen. Es ist köstlich, Mathis Reinhardt als braven Underdog Dave wieder und wieder Nacken und Hals entblockieren zu sehen – wenn Dave wieder einmal irgend etwas drückt, wenn das raus müsste aus seinem trainierten Körper; wegen einer Frechheit vielleicht, von diesen Rotznasen, die ihn als Türsteher bedrohten, oder wegen einer Herablassung der Pinkel im Museum, wo Dave im neuen Job jenes merkwürdige Kunstwerk, den NippleJesus, zu bewachen hat.
Mathis Reinhardt hat im Max-Beckmann-Raum des MdbK, wo diese Produktion der Theater Frankfurt und Leipzig (Regie: Barbara Wolf) zu sehen ist, anscheinend Gefallen an der – so das Klischée – milieutypischen kurzen Drehbeweggung von Kopf und Hals. Wieder und wieder strafft und streckt er sich, knackt auch mit den Knöcheln. Doch wo Dave jetzt arbeitet, da haut man nicht klärend drauf, da geht’s nicht so ehrlich und direkt zu, und das erlebt er dann.
Nick Hornbys „NippleJesus“ läuft gerade vergleichbaren Stücken über Kunstverhältnisse den Rang ab. Die größten Erfolge davor hießen wohl „Kunst“, von Yasmina Reza, und „Zieh den Stecker raus das Wasser kocht“, von Ephraim Kishon. Ein genauer Vergleich, was jeweils eigentlich verhandelt wird, wäre vermutlich aufschlussreich.
Tendenziell geht es vom radikalen Argwohn gegenüber der Moderne (Kishon, schon von 1965) über den Wahnsinn der Preise und wie man in diesen Zeiten der Kunst begegnet (Reza, 1994) hin zur neuen Akzeptanz der Kunst an sich, wobei die entfremdeten Verhältnisse gleichwohl karikiert werden. Zwar irritieren die Kunst-Werke noch, doch Künstler bauen ihre Strategie eben darauf auf und meinen eigentlich kein Werk, sondern die Kommunikation, die es in Gang setzt.
Hornby skizziert, was das für einfache Gemüter bedeutet. „NippleJesus“ (2001) erzählt mehr von Dave und seinem Verhältnis zur Kunst der besseren Leute als über diese selbst. Er kommt von unten, vom Rand ‚des Milieus’ und hat existentielle Sorgen. Seine Frau will mehr, aber Dave ahnt, dass seine Chancen gering sind. Er war Türsteher, nun ist er Werkwächter.
Das Stück erzählt schlicht und witzig, wie Kunst-Akzeptanz eine vertrauensvolle Grundsituation voraussetzt. Weil man im Museum Anschläge auf den NippleJesus fürchtet, wird Dave beauftragt, für die Sicherheit des Werkes zu sorgen. Alles andere als auf Kunst trainiert, ist der Wächter frustriert: Dieser leidende Jesus am Kreuz besteht aus vielen kleinen Fotos, auf denen Brüste zu sehen sind, ausgeschnitten aus Pornofotos.
Das ist doch eine Sauerei, so gut erzogen ist er, was für ein „Wichser“ macht sowas? Aber so viele bessere Leute finden es gut, und er merkt dann, dass es eine Frau gemacht hat. Dave denkt mit Achtung an die viele Arbeit, die die Künstlerin hatte. Er begrüßt den artistischen Trick, dass das Bild von weitem wie ein normaler Christus aussieht und erst, wenn man nahe herangeht – wenn man sich näher damit befasst – den Sinn verrät. Als die Künstlerin sich bei ihm bedankt, und hübsch ist sie obendrein, verliebt er sich in sie und in ihr Milieu, und von nun verteidigt er das Werk von Herzen. Er ist in die Falle getappt.
Eine Großfigur aus kleinen anderen Icons zu formieren, das hat vermutlich Giuseppe Arcimboldo in die hohe Kunst eingeführt. Stellte er schon damals mehr als die Einheit von Detail und Gesamtbild dar, so setzt die Moderne ganz auf den Widerspruch. John Heartfield hat so collagiert. Die Internet-Suchmaschine findet einen Christopher Savido, der 2004 ein George-Bush-Porträt aus vielleicht drei Dutzend kleinen Affenschädeln gemalt hat – was zur Schließung der Ausstellung führte, in der Bush Monkey gezeigt worden war. Noch dichter angelehnt ist Hornbys Werk bei der Grazerin Gabi Trinkaus. Sie collagiert seit Jahren Frauenkörper und -gesichter, zusammengesetzt aus vielen kleinen Fotos von idealen Schönheitsbildern der Beauty-Industrie.
Der NippleJesus ist so gesehen zwar plakativ kombiniert, aber mehr als lediglich eine Provokation des Religiösen durch Pornografie. Immerhin prallt das Metaphysische, das Geistige, auf eine Ikone des Körperlichen; oder Schmerz auf Lust, oder das Bild der christlich-männlichen Körpernegation gegen ein Urbild des weiblichen Körpers.
Man denke nebenbei an die vielbrüstige Göttin von Ephesus, der Alfred Hrdlicka gerade noch vollpralle Marmorskulpturen widmen konnte, ehe tolldreiste Wissenschaft die stolzen Brustfrüchte am Körper der Göttin umdeutete – zu Säcken aus Stierhoden, zu männlich dominiertem Fruchtbarkeitskult.
Das ahnt unser Davie-Body mit der breiten schwachen Brust, es muss ihn interessieren, freilich reflektiert er es nicht. Doch Kontext und Werk haben ihn in Bann geschlagen. Er kommt dem Werk näher, er hat Zeit mit ihm verbracht, und er verteidigt es gegen Eierwerfer und christliche Fanatiker.
Am Ende aber wird er doppelt überrumpelt und verraten. Ein Provokateur lenkt ihn ab, und der NippleJesus wird zerstört. Die Künstlerin kommt und frohlockt: darauf hatte sie gewartet. Ihr eigentliches Werk sollte von Anfang an ein Video werden, dass die Zerstörung dokumentiert, Intoleranz ist das eigentliche Thema. (Die faktische Tat ist auf dem Video nicht zu sehen: als misstrauischer Mensch argwöhnt man sogleich, die Künstlerin habe die Zerstörung selbst beauftragt. Doch soweit geht Dave nicht mit, ob Hornby es bewusst andeutet, müsste man nachlesen.)
Dave ist nur enttäuscht: er ist reingelegt worden. Das wahre Kunstwerk findet doch ohne ihn statt, der doch gerade durch Vertrauensgewinn zu einem Vertrauten des Werks hatte werden wollen – doch er bleibt draußen, alles andere war Illusion. Das darf man hochrechnen: die Erregungen über Kunst sind nicht vorbei, aber das System kalkuliert sie, nutzt sie zur eigenen Bestätigung. Wer drinnen ist, ‚tut drinnen’, die anderen bleiben draußen.
Die Inszenierung ist kurzweiliger als die Interpretation. Hornby brilliert mit Witz und Wendung, Mathis Reinhardt mit einem Monolog in feinsinniger Balance zwischen Behauptung, Unsicherheit und Trotz. Die reichliche Stunde im Beckmann-Raum ist ‚im Kopfumdrehen’ vorbei (Reinhart umkurvt zwei, drei Mal das Publikum, das die Köpfe mitdreht…).
Ebenso köstlich war, einen Tag nach der Premiere zur überlaufenen Ausstellungseröffnung des LVZ-Kunstpreisträgers, einen extra bestellten Wachmann bei ähnlicher Aufgabe zu beobachten. Er konnte die im Trubel einsam herumliegende Glühbirne, das Werk der Künstlergruppe Famed – von Mathis Reinhardt am Abend zuvor mit einem Schlenker außer Textbuch als Baumarkt-Werk taxiert –, tatsächlich nur durch körperlichen Einsatz gegen die rempelnden Besucher schützen. Nicht zu erkennen war, ob er ein emotionales Verhältnis zu seinem Werk oder zum Szene-Milieu hat. Es wäre nur verständlich, wenn nicht – es erspart die Enttäuschung.
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