Ein Vortrag von Winfried Menninghaus im Literaturinstitut. Seit ich bei artour vor einigen Jahren sein Buch „Das Versprechen der Schönheit“ mediengerecht verwurstet habe, schaue ich mit großem Interesse auf die Arbeit dieses Berliner Literaturwissenschaftlers. Wenn ich „verwurstet“ schreibe, dann in selbstbewusster Selbstkritik, dass man im Fernsehen solchen Büchern nicht gerecht werden kann. Auch Menninghaus’ neues Buch „Wozu Kunst“ (das ich noch nicht kenne) gründet auf der schon damals faszinierenden Relektüre Darwinscher Lehre und klassischer Ästhetik. Menninghaus macht weithin unausgeschöpfte Vorschläge, was Kunst in evolutionärer Hinsicht sein könnte. Rückschlüsse auf die Kunst der Gegenwart sind geboten, weshalb in seiner Forschung nebenbei auch ein Sprengsatz liegt, ich nenne nur den Fetisch „Schönheit“.
Im Literaturinstitut von Michael Lentz als „innovativster und scharfsinnigster“ Literatur- und Geisteswissenschaftler der letzten Jahre vorgestellt, bestätigte Menninghaus seinen Ruf. Der ist offenbar auch in Leipzig gut, wo man auch bei vortragenden Kapazitäten zuweilen halbleere Säle hatte. Anders gestern im Literaturinstitut, wo mit der Rektorin, dem Direktor der Universitätsbibliothek und weiteren Professoren der Geisteswissenschaften gewissermaßen sogar eine universitäre Elite dem Vortragenden Reverenz erwies.
Was er vortrug, muss ich aus Vorsicht, falsch zu dokumentieren, kurz halten. Er erneuerte Roman Jakobsons Versuch der Bestimmung, was „poetische Sprache“ sei. Dieser „formalistische“ Zugang war wegen der Ausweitung der literarischen Kunst und der Sprache in der Kunst lange Zeit auch der zweiten Moderne sogar misstrauisch behandelt worden: als normative Sehnsucht.
Immer weiter hat Menninghaus in den letzten Jahren verstärkt, das Wissen über Ästhetik empirisch zu erheben. Zusammen mit Neurowissenschaftlern und Psychologen (auch vom diesbezüglichen Leipziger Max-Planck-Institut und aus der hiesigen Universität) hat er, darüber sprach er, untersucht, wie sich Metrik und Reim auf die Wahrnehmung von Texten auswirken. Das ist schwieriger, als man so kurz notiert, müssen doch alle anderen Einflüsse, grob sei nur die Semantik genannt, ausgegrenzt werden. Was er dann, ausgehend von einer wunderbaren Analyse der Ikeawerbung „Wohnst du noch oder lebst du schon“ resümierte, überraschte die anwesenden Dichtungs-Studenten vermutlich nicht in allen Details, gleichwohl, etwas an der physiologischen Reaktion bewiesen zu bekommen, beeindruckt immer. Und vielleicht ist es immer noch nicht (wieder) ausgemacht in Künstlerkreisen, dass es eine Korrelation gibt zwischen Rhythmik und Poetizität?, vielleicht doch und sogar proportional zwischen Form und Kunst?
Hervorheben möchte ich nur zwei Momente: Neuroanalytisch bestätigt ist der Verdacht, dass sich Ellipsen, also verkürzte, lückenhafte Mitteilungen, besser ins Gedächnis einschreiben. Hatte nicht die Antike auch das schon gewusst und in der Bevorzugung der Frage vor der Antwort praktiziert – die zu füllende Lücke als Erkenntnisvorgang? Das zweite Moment ist die ebenfalls bewiesene Tatsache, dass, ich verkürze und generalisiere, Form den Inhalt verdeckt.
Im zweiten Teil ging es dann nicht um neurophysiologische Messungen, sondern empirische Erhebung. Probanden wurden befragt, was sie von Roman, Dichtung, erwarten – mit erstaunlichen Favorisierungen für Schönheit. Anschließend darum, warum etwas „emotional“ oder „moving“, warum es bewegend ist. Tatsächlich ist es undenkbar, dass ein Pornofilm „bewegend“ ist. Dafür nämlich ist, vor „Freude“, die Trauer der beste Grund, nun allerdings niemals pur und eindimensional. Sie muss zum Beispiel einen gewissen Widerstand dagegen enthalten, eine Möglichkeit, sich agierend zu addieren zu der jeweiligen Situation (meine Formulierung). Die Genauigkeit dieser Untersuchungen, die ich hier nicht belegen kann, beeindruckt.
Freilich, wenn Literaturwissenschaft sich darauf gründen möchte, braucht es Dezennien, ehe sie so komplexe Erscheinungen wie literarische Werke erfassen kann. Als Kunstwissenschaftler hört man dennoch immer wieder mit Bewunderung zu, wie genau die Literatur- – und Sprachwissenschaft – arbeitet. Zwar werden auch über Kunst und Architektur „neurophysiologische Gründe“ erhoben. Doch die bildlichen Systeme, die vergleichend zu untersuchen wären, sind gar keine oder so mikrostruktur-begriffslos differenziert, dass es unmöglich scheint, auf Aussagen mit Gewissheit zu hoffen.
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