Ausstellung „Neue Sachlichkeit in Dresden“, bis 8.1.12. Ich kann mich an ein Erschrecken über manipulierbare Kunstwahrnehmung gut erinnern. Anfang der 90er Jahre überfielen neonazistische Jugendliche in Mecklenburg-Vorpommern Zeltplätze. Ich war gerade in München, und in der Abendzeitung wurde ein angesehener Münchner Galerist (ich glaube, Bernhard Wittenbrink) mit der Bemerkung zitiert: was dort geschehen, sei folgerichtig, sei direkte Folge eines Geistes, wie er in der ostdeutschen Malerei zum Ausdruck gekommen sei. Die genaue Formulierung weiß ich nicht mehr, doch deutlich war, es ging um die glatte figürliche „realistische“ Malerei.
Tatsächlich lebt im Westen das Gleichheitszeichen zwischen Realismus und Diktatur weiterhin. Zwar werden mittlerweile auch bei Wittenbrink Maler ausgestellt, die figurative Bilder malen, doch die lange, vierzigjährige Nachkriegserziehung des Westens mit dem Dogma des „Innovation statt Repräsentation“ (Freiheit/Diktatur, Erfindung/Abbildung und Varianten) lebt abgeschwächt fort.
Eine Dresdner Ausstellung führt nun an die Gründe dieser Prägung: „Neue Sachlichkeit in Dresden“. Und tatsächlich: Als fatale Klammer umschließt der naturalistische Maler Richard Müller die Kunst der Neuen Sachlichkeit in Dresden. Fast alle Schüler von Otto Dix an der Dresdner Akademie machten Müllers strengen Zeichnungsunterricht durch.
Nach der Machtübernahme Hitlers 1933 wurde er zum Rektor berufen. Eine von Richard Müllers ersten Amtshandlungen war, Dix aus dem Professorenamt zu entlassen. Konnte er das vielleicht nicht ganz allein entscheiden, so trat er danach doch mit übler Beschimpfung der gesellschaftskritischen Fraktion hervor.
Die „neusachliche Präzision“ kennzeichnete sie gleichwohl gemeinsam. Andererseits allerdings wurden mehrere Kollegen dieser Kunstgesinnung noch im Frühjahr 1933 als Kommunisten inhaftiert. Ergo: Die „Neue Sachlichkeit“ ist weltanschaulich eine äußerst heterogene Strömung der Weimarer Jahre, wenngleich sie einen gemeinsamen stilistischen Nenner hat.
Die Ausstellung die „Neue Sachlichkeit in Dresden“ ist das Ergebnis eines Forschungsprojekts an den Staatlichen Kunstsammlungen. Es behebt eine erstaunliche, aber letzthin doch verständliche Forschunglücke. In Gustav Friedrich Hartlaubs Ausstellung (1925) in der Mannheimer Kunsthalle, die das Phänomen erstmals bündelte, war Dresden aus verschiedenen Gründen nur marginal vertreten.
Weitere Gründe für das Forschungsdesiderat liegen in der Vernichtung einiger Frühwerke im Bombenkrieg in Dresden und in der Rezeptionsgeschichte der DDR. Dort wurden Künstler, die in der Zeit des Nationalsozialismus weiterarbeiten konnten oder danach in den Westen gegangen waren, weitgehend ignoriert. Und vom Westen aus interessierte man sich nach dem zweiten Weltkrieg wenig für diesen Stil der „Rückkehr zur Ordnung“, geschweige denn für kommunistisch gesinnte Dresdner Maler.
Mit etwa 150 Bildern von 80 Künstlern wird jetzt im Lipsiusbau am Brühl versucht, das ganze Bild zu zeigen. Einige fehlende Hauptwerke führt der Katalog auf. Verwiesen wird selbstverständlich auf die ständige Ausstellung im Albertinum um die Ecke, wo ergänzend zum Beispiel das Triptychon „Der Krieg“ von Otto Dix zu sehen ist. In einem Abteil der Ausstellung ist ein „Studiendepot“ inszeniert, in dem die Bilder dicht an dicht die Vielfalt der späten neusachlichen Jahre vermitteln – und wie verhandelbar die ästhetischen und politischen Zuordnungen sein können.
Dada war in Dresden am Rande geblieben, schärfte aber die Gesinnungen. Dix malt die Krüppel und die Spießer, das Milieu. Conrad Felixmüller reist 1920 als Stipendiat des Rom-Preises nicht an den Tiber, sondern ins Ruhrgebiet. Otto Griebel, wie etliche Dresdner Mitglied der KPD, zeichnet die ausgelaugten Huren und Arbeitslose als „Menschenruinen“.
Die Berufung des dekadenten Bürgerschrecks Otto Dix an eine Akademie, an der bis 1931/2 Ludwig von Hofmann und Robert Sterl tätig waren, ist schon eine Folge der breiten Anerkennung für die Neue Sachlichkeit und den Verismus – dieser Begriff dominierte bis dahin in Dresden. Hildebrand Gurlitt, zu der Zeit Museumsdirektor in Zwickau, formierte 1926 eine Gruppe von Künstlern als „Das junge Dresden“. Diese Marke hatte Erfolg bis 1931. Die Auswahl, unter anderem mit Wilhelm Lachnit, Fritz Skade und Hans Grundig, wird von der gegenstandspräzisen Malerei dominiert und von Künstlern, die „für die soziale Idee begeistert“ waren.
In der Stabilisierung Mitte der 20er Jahre sank die Attraktivität der politische Kontexte und die Malerei beruhigte sich. Eher die „Kunst“ nimmt zu in Dresden als die Dekadenz. Bei Bildern mehrerer Künstler ließ sich die gleiche Farbzusammensetzung nachweisen wie bei Dix, der schon früher angefangen hatte, Schicht für Schicht zu malen, zu lasieren. Der „altmeisterliche“ Hintergrund gehört zu den Konstanten der Sachlichkeit in Dresden.
In Ausnahmefällen brechen die Werke, wie die Kritik über Felixmüller bemerkte, in „öldruckbunte Glätte“ um. Neuromantische und neuklassische Ansätze nahmen im Verlauf des Jahrzehnts zu. Dominierten in der ersten Phase der Dresdner Neuen Sachlichkeit die bleichen, großknochigen Proletarier, beginnt nun die Zeit der dinglichen Bestandsaufnahme.
Freilich sind Klassizisten und strikt formale Stilmomente rar, der Gesamteindruck bleibt ruppig und grob. Der Zug der „sozialen Idee“ in der Malerei fährt weiter. Dix hatte in den Jahren zwischen 1927 und 1933 etwa 50 Schüler. Deren Prägung auf Themen wie die „Käufliche Liebe“, gemalt in fahlen Akten bleibt bis zu jüngeren Absolventen wie Willy Wolff, Erika Streit und Gussy Hippold-Ahnert bestehen.
Der Blick auf die Dresdner Verhältnisse lässt die Kuratorin Birgit Dalbajewa in einem der konzentrierten Katalogbeiträge (mit Ruth Heftrig) zu einem differenzierten Urteil über das Verhältnis zwischen Neuer Sachlichkeit und nationalsozialistischer Ästhetik kommen. Zwar wären die „Sachlichen“ in ihrer „deutschen“ Tradition zu vereinnahmen gewesen, in Stil und Bauern-Motiv auch bei Kommunisten wie Ernst Bursche und Kurt Querner.
Eine sinnfällige Marginalie ist, dass Willy Kriegel, ein in der Beruhigungsphase um 1928 in die Öffenlichkeit getretenes großes Talent der Neuen Sachlichkeit, 1944 auf Adolf Hitlers Sonderliste der „Unersetzlichen Künstler“ geriet. Kontinuität sei ebenfalls zu beobachten, wo von Dresden aus Künstler nach 1933 Professuren in Berlin und Karlsruhe bekommen. Doch werde deutlich, dass „Kontinuität neusachlicher Kunst vor und nach 1933 stärker in jenen Randfeldern (…) zu finden ist, die sich als „Neuromantik“ bezeichnen lassen und die aus der Tradition des Naturalismus und der Heimatkunst erwuchsen.“ Dies sei in Dresden aber Ausnahme geblieben.
So wird Dresden als Kessel und Arena der Neuen Sachlichkeit wieder erkennbar, wo übrigens auch Künstler Prägungen erhielten, die man nicht mit Dresden in Verbindung bringt – wie Woldemar Winkler, George Grosz, Franz Radziwill oder Franz Lenk. Der Lipsiusbau auf den Dresdner Brühlschen Terassen ist als früheres Ausstellungshaus des Dresdner Kunstvereins, wo etliche der Werke schon ausgestellt waren, der ideale Ort dafür.
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