Nachdem das Problem diskutiert war, dass man „nicht weiß, wie man Beckmann in die Geschichte der künstlerischen Avantgarde einordnen soll“ (Belting), ist die Bilanz der Max-Beckmann-Forschung eigentlich ausgezeichnet.
Die Werk- und Lebensorte sind einzeln analysiert, Beckmanns Verhältnis zur Moderne, zum Mythos, zur Bühne, sogar die „Farbe Schwarz“ und was sie in Beckmanns Malerei bewirke und jede Menge Einzelmotive sind untersucht, spezielle Bilder und Werkphasen. Ein kommentiertes ausführliches Verzeichnis der Bibliothek des Malers ist erschienen, seine Tagebücher, drei Bände Briefe, sogar eine großzügige und vorzügliche Ausgabe der Skizzenbücher.
Gleichwohl schleift die Rationalisierung Beckmanns in den esoterischen synkretistischen 20er Jahren entstandenes im weiteren Sinne theosophisches Weltbild und macht eine unverbindliche „kosmische Dimension“ daraus. Als hätte der Maler es nur benutzt, um lediglich mit dessen Rhetorik – die das Werk motivisch erheblich färbt – zu spielen, ohne es Ernst zu nehmen.
Als hätte er von „Welt“, von „Geschichte“, von „Ich“, von „Weg“, „Sein“, „Realität“ und „Tod“ nicht eine ganz andere Definition gehabt, als die Analysen sich zumuten wollen anzuerkennen. Vergleichbar kurz griffe, Else Lasker Schüler ohne ihr „Theben“ zu erklären.
Als hätte Beckmann-Maler einen ganz anderen Körper gehabt als Max Beckmann, den man in den Briefen, Reden, im Tagebuch, in den Notizen in den Büchern – und eben nicht zu knapp in den Bildern – kennen lernt.
Am 27. Juni 1950, wenige Monate vor seinem Tod, notierte der Maler zum siebenten Mal den Abschluss seiner Lektüre der „Geheimlehre“ der Helena Petrowna Blavatsky. Davor hatte er sie 11 Jahre nicht gelesen, von 1934 bis 1939 aber sechs Mal.
Beckmanns Notizen sind so zu verstehen, er habe die Geheimlehre jeweils durchgelesen – Thomas Noll nimmt das an (MB und die Geheimlehre der Helena P. Blavatzsky, Hefte des Max Beckmann Archivs, Nr.8) Sicher ist es erlaubt, skeptisch zu sein – es sind, ohne Index, 2000 Seiten, die er da zeitweise fast jährlich hätte lesen müssen, als er jeweils den Abschluss festhielt: Frühjahr 1934, März 1935, März 1936, Oktober 1937, Oktober 1938, Oktober 1939.
Doch selbst wenn man eine sprunghafte Lektüre annimmt, muss man angesichts der Intensität von Lektüre und Kommentar sowie der lebensüberspannenden Dauer annehmen: Beckmann hatte da etwas gefunden, das sein Leben prägte. Nur als oberflächlicher Schein soll es seine Kunst betreffen?
Er kannte das Gedankengut der Blavatzsky lange bevor er Anfang der 30er Jahre die vierbändige Ausgabe erwarb: seit 1922 besaß er ihr zweibändiges Werk „Die entschleiderte Isis“, den „Meisterschlüssel zu den alten und modernen Mysterien“. Im Werk findet man Zeichen dafür ab 1918.
Auch in der „Isis“ gibt es jede Menge Anstreichungen und Kommentare. Außerdem finden sich andere esoterische, okkulte Bücher über indische und altorienalische Mythologie in seiner Bibliothek.
Nur ein Stichwort: Schauspieler, Bühne, Rollen. Thomas Noll zitiert Blavatzky: „Eng, oder vielmehr unauflöslich verbunden mit Karma ist sodann das Gesetz der Wiedergeburt, oder Reinkarnation derselben geistigen Individualität in einer langen, nahezu grenzenlosen Reihe von Persönlichkeiten. Die Persönlichkeiten sind wie die verschiedenen, von demselben Schauspieler dargestellten Rollen…“
Max Beckmann kommentierte die Blavatzky-Sentenz in seiner Ausgabe der Geheimlehre: „habe ich immer behauptet. Ein und derselbe Schauspieler in alle Ewigkeit ist jeder Selbst (….)25.2.1939 Paris“.
Noll schlussfolgert: „Die für Beckmann zentrale Vorstellung der Welt als Theater und des Menschen – darunter er selbst als Schauspieler – war in der Geheimlehrer buchstäblich und im gleichen Sinne, wie der Künstler es begriff, vorformuliert.“
Zwar war es längst Allgemeingut, dass im Clown der Künstler stecke, dass der Mensch Rollen spiele – doch wenn jemand dermaßen an der Theosophie klebt wie Beckmann, darf man diesbezügliche Motive nicht interpretieren ohne sie.
Das Fazit Thomas Nolls: „Wenn die Ausfürungen der Blavatsky, um dies nochmals zu betonen, gewiß nicht in jeder Hinsicht mit Beckmanns Anschauungen identifiziert werden dürfen, so bezeichnen sie doch im wesentlichen ein Gedankengebäude, in dem Beckmann in vielfältigem Betracht sich einzurichten vermochte und das er in geistiger Ruhelosigkeit immer von Neuem aufsuchte und durchlief.“
Die Beckmann-Forschung werde „nur auf dem von Fischer beschrittenen Höhenweg weiterführen; wo eine Auseinandersetzugn mit dessen Thesen und Hypothesen unterbleibt (…) fallen neuerliche Deutungsversuche hinter das Erreichte zurück“.
Wie schon notiert, werden F. W. Fischers Bücher im Basler Beckmann-Katalog 2011 gar nicht erwähnt, im Leipziger und im Frankfurter marginal. Nur der Beitrag von Olaf Peters über das Bild „Prunier“ im Leipziger Katalog diskutiert die Thesen Fischers akzeptabel. Auswirkungen auf das Gesamtbild Beckmann 2011/12 hat das aber nicht.
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