Spät im August. Im Sommer liest man ja so Sachen, die man sonst meidet, und nun habe ich Lust, zum unwichtigsten Geplänkel der Saison etwas Senf hinzuzugeben, den die Kollegen und Kolleginnen offenbar vergessen haben. Also: Thomas Steinfeld, SZ in München, früher FAZ, und ein Kollege haben unter dem Pseudonym Per Johansson, mit gefakter Vita und erlogenen Cover-Lobpreisungen (Orhan Pamuk!) einen Krimi nach schwedischem Erfolgsmuster geschrieben. Darinnen wird ein Journalistenstar ermordet und grausig zugerichtet, der Züge des für das Feuilleton verantwortlichen FAZ-Herausgebers Frank Schirrmacher trägt, des Ex-Chefs von Steinfeld also.
Au wacke, die WELT enthüllt und der FREITAG-Herausgeber Jakob Augstein schreibt, wir arg die Leser getäuscht würden und was der Schirrmacher für ein wegweisender Macher und dass Neid wohl ein Motiv des Autors sei. Erster Einspruch: Hat nicht das FAZ-Feuilleton genau in den Jahren, in denen Schirrmacher tatsächlich kräftige Marker aus diversen Zukunfts-Technologie-Themen in die Feuilletonwelt setzte, ordentlich an Substanz verloren, was die klassischen Aufgaben angeht, vor allem in Literatur- und Kunstkritik? Es hat.
Wenn man in der Provinz mit ganz anderen Zumutungen zu kämpfen hatte, konnte man wütend registrieren, wie dort zeitweise jeder Kunstkritik ein Entertainment-Absatz über die Party zur Vernissage hinzugefügt wurde, weil irgend ein Leithammel das für angesagt hielt. Dies ist nur ein unwichtiges Detail. Ein anderes: Neulich schrieb dort ein bewährter Kollege einen Artikel über die Vorauswahl zum Deutschen Buchpreis 2012. Zwanzig Bücher von 162 sind da durch sieben Juroren ausgewählt worden, und da schreibt der eine Journalist der Frankfurter Allgemeinen Zeitung doch tatsächlich: „die zwanzig nun nominierten sind eine exzellente Auswahl“. Ist das eine Karikatur?
Das FAZ-Feuilleton hat verloren, man kann längst nicht mehr getrost nach Hause tragen, was darinnen geschrieben steht. Und macht nicht Schirrmacher als Autor vor, wie kurzlebig diese medienfokussiert verkürzten Thesenbücher sind, vom „Methusalem-Komplott“ bis zu „Payback“? Das sind Erregungssachbücher, gut gemacht und wichtig, sonst hätten sie nicht Erfolg. Sie zielen auf Effekt, sie sind stark in eben der Hinsicht, in der Schirrmacher das FAZ-Feuilleton modernisierte. Zum Aufheben ist das aber leider zu dünn. Nein, wie Jakob Augstein die Hüte zieht, das macht keine Hoffnung, der Freitag könnte zu seinem Selbstverständnis als Meinungsmagazin auch etwas Substanz gewinnen.
Aber das sei nur nebenbei gemeckert, hübsch ist die Affäre aus anderen Gründen. Steinfeld bekannte sich nach der ersten Erregungswelle und wiegelte ab: das mit Schirrmacher sei vollkommen falsch verstanden. Dass gerade das Feuillton sich so aufrege, empöre ihn, war im Spiegel zu lesen, denn mindestens im Feuilleton müsse man doch verstehen, dass Literatur vieldeutig usw. sei, dass Fiktion und Leben nicht so überein gingen, auch von ihm stecke etwas in dem Ermordeten. Man müsse unterscheiden, zitiert der Spiegel, „zwischen möglichen und zwingenden Interpretationen“. Ach, köstlich.
Der Freizeit-Krimi-Schreiber Thomas Steinfeld hat also die möglichen Nebenbedeutungen gar nicht bedacht und verlangt nun als Kritiker Steinfeld die Scheuklappen, diese doch bitteschön zu übersehen und doch bitteschön nicht an seinen ehemaligen Chef zu denken? Ach Nachtigall!
Und es funktioniert ja. Schon vor dem Erscheinen ist die Auflage verdoppelt worden. Die inkriminierte Finte wird einen Mehrertrag im unteren fünfstelligen Bereich einbringen. So profitiert der unbekannte Steinfeld also von der Bekanntheit seines früheren Chefs, den er zwar nicht mag, der ihm aber gezeigt hat, dass man die Medien nur richtig erregen muss. Übrigens zählt dazu auch die vermeintlich persönliche Grausamkeit, die dem Leichnam geschieht – sie folgt einem anderen Erfolgsmuster, zum Beispiel von Simon Beckett. Also liebe Kollegen und Kolleginnen, warum in aller Teufels Namen denkt ihr so naiv von Thomas Steinfeld?
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