Niedere Instinkte auf der Straße, angewandtes Bourdieu


Es braucht nicht die kleinste kasuistische Bemühung um zu belegen, dass jeder Start eines Porsche zur Vulgarisierung und Verrohung beiträgt, und dass sein Fahrer, und sei er der edelste Philanthrop, als Porsche-Fahrer asozial ist.

Am Freitag im ersten Leipziger Dunkel. Mit dem Fahrrad vom Rundgangs-Auftakt im Kirowwerk auf die Spinnereistraße fahrend, hatte ich nach langer Zeit wieder einmal Angst auf der Straße. Sie rührte vom Sound eines Autos her, das von links aus der Saarländer Straße offenbar heranjagte und die Kurve in die Spinnereistraße, in der ich mich gerade befand, vor sich hatte. Es ging alles gut, der Fahrer kam mit geschätzten 70-80 km/h durch die Kurve und gab dann wieder kräftig Gas.

Es geht um Kultur. Dieses merkwürdig labile Dingens besteht aus tausenden Ingredenzien, die sich in den unendlich vielen Zimmern und Fluren im sprichwörtlichen Haus des ewigen Vaters immer wieder neu durchmischen. Mein Lieblingsbild dafür sind hunderte farbige Gase, die irgendwoher strömen, kontinuierlich oder stoßweise, in dünnen Schlieren oder als volumige Wolken und so weiter, die sich gegenseitig durchmischen, treiben, verdrängen, die sich paaren und so fort. Ein paar dräuen phlegmatisch als Bodensatz in den Kellern und Höhlen, wenig veränderlich, sich verdichtend oder ausdünnend. Mit jeder Etage nach oben fließen sie schneller, die einen aufwärts, die anderen abwärts, von Winden und Moden verweht, die einen durch Versorgungschächte, die anderen die Trepphäuser hinauf; manche Bewegung scheint logisch, dann wieder entstehen völlig unvermutbare Strudel, manches verschwindet für immer und ist dann doch wieder da, wie die gewalttätige Pest.

Das extra räudige Sound-Design von Porsche ist berühmt. Betrachtet man es allerdings von der so enttäuschenden Entwicklung der menschlichen Affektkontrolle aus, so wird es recht hässlich. Wenn auf der einen Seite das Fleisch und die tierischen Instinkte des Egos stehen und auf der anderen der Geist des Gemeinsinns und also das dünne Eis der Zivilität, steht Porsche eindeutig auf der falschen Seite.

Man kann sich im Netz (Porsche-Zentrum Frankfurt am Main) die verschiedenen Heultöne, das Bellen, Rasseln und Schnauben anhören und wird feststellen, dass der alte 356er relativ schüchtern klingt, verglichen mit den neuesten Motoren im Cayenne oder im GT3 RS. Ich überlege noch, ob die Vulgarisierung bei Porsche stärker war und schneller verlief als das, was die deutsche Gesellschaft insgesamt erkennen lässt. Die Aggression zum Beispiel auf den Autobahnen hat trotz neuen Drängelverboten usw. deutlich zugenommen. Man vergleiche Design und Funktion der beliebtesten Autos der 60er-80er Jahre (West) mit all den kleinen Panzern, die heute als SUV unterwegs sind, und hat einen schönen Kulturvergleich. Was im Porsche tönt, ist keine Industriezeitalter-Nostalgie, sondern ruft Tarzan-Instinkte auf. Zitat: ‚Der neue 911 GT3 RS ist ein Versprechen an alle, die wissen wollen, was wirklich in ihnen steckt.’ Sie meinen es sportlich, es passt in die schöne neue liberale Welt, die bekanntlich wahre ‚Killer‘ braucht.

Ja, ich kenne auch solche Männer, denen spätestens bei 380 PS, und genau so muss es gesagt sein, einer abgeht. Man muss ihnen verzeihen, denn auch die in die Technik delegierte Identifikation mit Stärke entsteht aus der Schwäche der Chromosomen. Die Instinkte für Macht und ‚den Killer in dir‘ sind angelegt, man kann sie gesellschaftlich provozieren oder domestifizieren. Kultur ist ein sensibles Gemisch, man vergleiche nur Europa und die USA und die Idee der Selbstverteidigung.

Asozial ist es sowieso. Obwohl es teuere Autos gibt und die Verhältnisse in Süddeutschland andere sind, ist Porsche noch immer ein Symbol. Wer Porsche fährt, teilt seiner Umgebung mit: Ich bin nicht wie ihr, der Porsche macht den Unterschied. Das bedeutet auch: Mein ist das Ego, nicht der Gemeinsinn, was anthropologisch gesehen übrigens auch ein niederes Verhalten ist. Es mögen die gemeinsinnigsten Leute sein oder die unbedenklichsten oder ‚Technikfreaks’, sie können nichts dagegen tun. Es mögen Luxusbedenken sein, unpassend aufgebauscht, angesichts anderer Gewalt auf den Straßen, doch in der Soziologie der symbolischen Formen ist Porsche, im sensiblen Kulturgemisch wirkt Porsche: asozial und vulgarisierend. In der Kurve am Freitag, übrigens, das war ein Audi.

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