Der Umstand, dass der Schauspiel-Intendant Sebastian Hartmann nicht versuchen wird, seinen Vertrag im Leipziger Stadtrat verlängern zu lassen (so sollte die korrekte Formulierung lauten, und nicht, dass er ihn „nicht verlängern wird“), ist gewiss kein Grund zum Jubeln. Etwas erschrocken aber hat mich die Reaktion des Freundeskreises Schauspiel Leipzig e.V. In dessen Presseerklärung heißt es:
Wir erlebten in den vergangenen drei Jahren ein spannendes, leidenschaftliches, bildgewaltiges, musikalisches, kritisches, kontroverses Theater und vor allem überregional beachtetes Theater. Leider beschränkten sich die Diskussionen um Centraltheater & Skala immer nur auf die Person Sebastian Hartmann. Dabei steht das Centraltheater auch für ein engagiertes Ensemble und verschiedene Regiehandschriften. Außerdem für Dramaturgie, Bühnen – und Kostümbildner, Hausphilosophen, Musiker und viele andere. Bemerkenswert bleibt für den Vorstand die Verbindung zwischen Theater und bildender Kunst, das Durchbrechen der „vierten Wand“, das „aus der Rolle treten“ und Eingehen auf Reaktionen des Publikums und eine Konzentration auf Leipziger Theaterstoffe in Verbindung mit dem Autor Clemens Meyer.
Ohne Experimentierfreude ist keine künstlerische Entwicklung möglich. Und selbst wenn neue Formen die Bürger einer Stadt scheiden, darf das kein Hindernis für die Befürwortung eines sich auch in ungewohnte Richtungen bewegenden Theaters sein – sonst würde Stillstand zum Programm erhoben!
Der Vorstand des Freundeskreis Schauspiel Leipzig e.V. hat sich immer eine sachliche Argumentation bei der Auseinandersetzung um das Leipziger Theater und eine klare Linie der Kulturpolitik unserer Stadt gewünscht, die jedoch die Auseinandersetzungen in der Stadtverwaltung vermissen ließen. Die Zukunft des Leipziger Theaters bleibt schwierig und verbreitet wenig Grund zu Optimismus, wenn wegen mangelnder finanzieller Absicherung die betriebswirtschaftliche und künstlerische Handlungsfähigkeit des Hauses nicht mehr gewährleistet ist. Die Unstimmigkeit von Seiten der Stadt über die ästhetische Ausrichtung des Theaters trägt zu weiterer Verunsicherung bei. Ein Zustand, der nun schon über viele Jahre andauert.
Der Vorstand des Freundeskreis Schauspiel Leipzig e.V. freut sich zusammen mit Centraltheater & Skala auf die zwei kommenden Spielzeiten. Wir werden weiter mit den Theatermachern einen regen Austausch pflegen und freuen uns, mit Sebastian Hartmann einen spannenden und engagierten Theaterregisseur, sein Ensemble sowie interessante Gastspiele zu erleben.
Ich möchte das einzeln nicht kommentieren, nur drei, vier Dinge anmerken. Erstens: Ein Freundeskreis dieses Theaters, der nicht eine einzige Anmerkung zu dem Umstand hat, dass sich das Theaterpublikum in Leipzigs Stadttheater in den letzten drei Jahren bei allem arithmetischen Wohlwollen mindestens halbiert, korrekt gerechnet wahrscheinlich gedrittelt hat, ist kein Freundeskreis des Theaters, sondern des Intendanten. Zweitens: Wer die Modernität dieses Theateransatzes hervorhebt (wir hätten gern einfach besser gemachtes Theater gesehen), und dafür in Kauf nimmt, wie die schönfärberische Formulierung lautet, dass diese Theaterformen „die Bürger der Stadt scheiden“, der verdient ohnehin nicht den Namen Freundeskreis des Theaters, das ein Stadttheater ist.
Drittens: Eine Frechheit ist es, das Scheitern dieses Intendanten nun der Stadt und ihrer „Unstimmigkeit“ über die ästhetische Ausrichtung anzulasten. Die Differenzen sind ja wohl unübersehbar eine Folge der Probleme, die im Theater selbst geschaffen wurden, und beruhen nicht zu knapp auf einer viel zu langen Ignoranz ihnen gegenüber an der Stadtspitze.
Viertens noch: Mich ärgert an solchen Dingen am meisten die Demagogie, und mich verwundert die unreflektierte Bestätigung der Bourdieuschen Distinktionstheorie. Statt sich aufzuraffen für eine Bilanz, wird zur Aufrechterhaltung eines schönen Bewusstseins von sich selbst oder auch „für die Sache“ genau das verraten, dessen Freund man sich nennt. Verantwortlich gemacht werden Politik und wieder das Publikum – zu dem nun einmal all jene gehören, die nur ein, zwei, drei Mal im Jahr dort hingehen wollten. Denen wird genau das in die Fresse gegeben, das sie aus Hartmanns Arbeit instinktiv wahrgenommen haben: Wir haben alles versucht, aber IHR seid einfach zu blöd. Dass der Freundeskreis dies nun bestätigt, nenne ich eine Offenbarung.
(Korrektur 17.9.: Halbiert, gedrittelt bezieht sich auf die Zahlen seit 2006/7; die Minderung diesen Ausmaßes ist also nicht innerhalb dreier Jahre eingetreten, ist nicht allein Sebastian Hartmann anzulasten. Sie begann mit dem nachlassenden Elan – mit weniger Veranstaltungen und Inszenierungen – in den letzten beiden Jahren unter Wolfgang Engel; freilich haben die drei Jahre danach mit Hartmann den viel größeren Verlust eingebracht, wenn man konkret zählt, wieviele Zuschauer Theater sahen (nicht Konzerte usw.)
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